Jando, Windträume
Der alte Seebär war unermesslich traurig, doch wusste er, dass dies noch nicht der endgültige Abschied von seiner Frau war. Er hüllte sie in ein weisses Laken und brachte sie zu seinem Kutter. Es musste alles schnell gehen, da die Tuberkulose auch ihn angesteckt haben konnte. In seiner Eile vergaß er, die Sonnenblume und den Stern mitzunehmen. Doch als er sein Blumenbeet erreichte, wurde ihm warm ums Herz. Hunderte von Sonnenblumen und Sternen verneigten sich vor ihm. Es wurde Nacht, obwohl es taghell war. Die Blumenköpfe wiegten sich hin und her. Dabei sangen sie:
„Wenn wir bereit sind, die Träume in unser Leben einzubeziehen, lernen wir die Wahrhaftigkeit der Liebe und des Lebens kennen.“
Und er begriff: Die Liebe zwischen ihm und seiner Frau war unvergänglich, und es war ein Geschenk, dass sie in ihren düstersten Stunden für einander da waren. Als er sich auf den Weg zum Kutter machte, hörte er noch einmal die Sonnenblumen flüstern:
„Liebe geht ein ganzes Leben. Egal Wie. Egal Wann. Egal Wo.“
Der alte Fischer stach in See. Irgendwo weit draussen, übergab er seine Frau dem Meer. So sollte es wohl sein. Der Kapitän eines anderen Schiffes, das sich in der Nähe befand, beschrieb in seinem Logbuch ein unglaubliches Naturereignis. Die Besatzung hatte einen Stern und eine Sonne in den Abendhimmel steigen sehen, oben am Firmament paarten sich beide und schossen in einem wunderschönen Schweif gemeinsam zur Erde. Daraufhin taten sich viele Sterne zusammen und begleiteten sie. Der Kapitän trug es in seinem Logbuch als Sternschnuppen ein.
Während mir der Wind die Geschichte vom alten Schiffer und seiner Frau erzählte, fühlte ich mich in eine andere Zeit versetzt. In eine Welt, in der Liebe, Selbstmitleid, Trauer und Mut ineinander übergingen. Jetzt öffnete ich meine Augen und sah, wie das Meer brodelte und sich riesengrosse Wasserfontänen daraus erhoben. Der Wind keuchte: „Ach, lieber Tom, ist es nicht herrlich – dieses Naturschauspiel? Ich genieße es Tag für Tag, manchmal mehr, mal weniger. Für mich ist es aber nun an der Zeit zu gehen. Denke jedoch immer dran:
„Frei ist nur der, der seinem Herzen folgt. In ihm liegt die Kraft des Lebens.“
„Wind, wo geht deine Reise jetzt hin?“ „Dorthin, wo die See noch flach und eben ist. Dort, wo sie aufgewühlt werden muss, um Menschen fühlen zu lassen, wer sie wirklich sind. Dir, lieber Tom, sind die Augen aufgegangen. Du bist dabei, deine Welt zu erleben, sie zu fühlen. Du kannst mich spüren, wie ich dich. Irgendwann werden sich unsere Wege wieder kreuzen. Niemals geht man so ganz. Höre, Tom, ich habe noch einen Hinweis für dich:
„Bei der Geburt unserer Mutter, der Erde, und der Geburt ihres Bruders, des Mondes, waren ihre Brüste die Sterne, und sie warfen sie in den Himmel. Dort oben, wo sie jetzt leuchten, stehen Gedenksteine. Auch für deinen Vater.“
Lebe nun wohl mein Freund.“
Um mich herum nahm der Sturm ab, das Wasser glättete sich. In der Ferne sah ich einen hellen Flecken am Himmelsende leuchten. Erst war er sehr klein, dann wurde er heller und heller. Es war der schönste Stern, den ich je zuvor in meinem Leben gesehen hatte. Wie aus dem Nichts traten noch andere Sterne aus der Dunkelheit hervor. Sie glitzerten wunderschön, doch der eine Stern überstrahlte alle. Ich wusste, ich bin nicht mehr allein.
Jando, Windträume, Buchcover
Gefällt mir Wird geladen …